BAD WALDSEE – Täglich eine halbe bis eine Stunde mehr körperliche Aktivität reichen nach Aussage von Prof. Dr. Wolfgang Schlicht von der Universität Stuttgart schon aus, um Krankheitsrisiken zu minimieren und die individuelle Mobilität zu erhöhen. Für die Heilbäder und Kurorte eine willkommene Empfehlung, beschäftigten sie sich bei ihrem Bädertag in Bad Waldsee mit der Fragestellung, nach welchen Angebote Gäste im Gesundheitstourismus suchen.
Der auch für Tourismus zuständige Minister der Justiz und für Europa, Guido Wolf MdL, musste sich vertreten lassen. Ein Unfall mit dem Mountainbike am Vortag, der zu Knochenbrüchen führte, hinderte ihn, in Bad Waldsee den Vertretern der Bäderfamilie seine persönliche Aufwartung zu machen. Minister Guido Wolf MdL ließ die besten Grüße zum Bädertag 2016 überbringen und bedauerte sehr, dass ihm eine Teilnahme persönlich nicht möglich war. Statt ihm konnte Ministerialrat Fred Stradinger die erfreuliche Zahl von erneut 2,8 % mehr Ankünften gegenüber der Vorjahr für die Monate Januar bis Juli 2016 vermelden. „Sie sind die kompetenten Institutionen in der Gesundheitswirtschaft und der Heilbäderverband ein absolut verlässlicher Partner.“ Mit 24 % würden ein Viertel aller Übernachungen im Land in Heilbädern und Kurorten getätigt. Da seien die Mittel aus dem Tourismusinfrastrukturprogram 2016 des Landes in Höhe von 5,2 Millionen Euro, mit denen Gesamtinvestitionen von 23.6 Millionen Euro angestoßen wurden, gut investiert. Von den in den letzten Jahren eingesetzten Mitteln flossen rund 49% in die baden-württembergischen Heilbäder und Kurorte.
Der Vizepräsident des baden-württembergischen Heilbäderverbandes, Walter Klumpp, Bürgermeister in Bad Dürrheim, hatte sich in seiner Begrüßungsrede beim Land für die Erstellung des Gutachtens zur Fortentwicklung des Heilbäder- und Kurortewesens bedankt. Dies sei eine ideale Grundlage, um das Bäderland Nr. 1 in Deutschland insgesamt sowie einzelne Heilbäder und Kurorte ganz gezielt über Infrastrukturmaßnahmen, neue Konzepte und neue Angebote weiter zu entwickeln.
Auch in Sachen Prävention und Gesundheitsförderung haben sich die Heilbäder und Kurorte über ihren Verband neu in Stellung gebracht. Sie gehören dem über das Landesgesundheitsgesetz neu geschaffenen Fachausschuss für Prävention und Gesundheitsförderung an. Passend zu diesem Thema referierte der Leiter des Instituts für Sport- und Gesundheitswissenschaft der Universität Stuttgart, Prof. Dr. Wolfgang Schlicht, zu diesem Thema. Der Ordinarius hielt eine flammende Rede für einen anderen Umgang mit dem Thema Alter und verwies jene ärztlichen Empfehlungen des „Sie sollten nicht“, „Sie dürfen nicht“ und „Essen Sie weniger davon“ in nicht wirklich weiterhelfende Versuche, Menschen ein anderes Gesundheitsbewusstsein zu vermitteln.
Gemessen am OECD-Schnitt stehe Deutschland nicht gut da, meinte der Wissenschaftler. Ein 65jähriger habe in unserem Land zwar noch eine statistische Lebenserwartung von weiteren 20 Jahren, davon allerdings nur acht in gesundem Zustand. „In allen Ländern um uns herum, ob Frankreich, Italien, Dänemark oder Schweden sind diese statistischen Werte deutlich besser.“ Schlicht klärte seine Zuhörer auf, dass es einen Unterschied zwischen dem invidiuell orientierten Ansatz der Prävention und dem lebensweltlichen Ansatz einer Gesundheitsförderung gebe. Während die Prävention danach trachte, Risiken zu minimieren (pathogenetisch), schaffe die Gesundheitsförderung neue Ressource und wirke stärkend (salutogenetisch).
Für Schlicht ist es immer noch eine Schande, dass in einem hochentwickelten Land wie Deutschland das Gesundheitsbewusstsein mit dem sozialen Status und Bildungsstand korreliere („Je höher gebildet, desto mehr Bewusstsein, desto gesünder und mobiler im Alter.“) Überhaupt sei es um das „Gesundheitswissen in unserem Land ganz schlecht bestellt“, so Schlicht. Abhilfe sieht der Sport- und Gesundheitswissenschaftler in so genannten „upstream preventions“. Damit meint die Wissenschaft, Maßnahmen oder Initiativen, die z.B. zu altersgerechten Städten führten oder das individuelle Sicherheits- und Wohlgefühl älterer Menschen in einer Stadt erhöhten. „Bis 2030 werden rund 80 % der Menschen in Städten wohnen. Diese älteren Menschen haben ein anderes Lebensgefühl und fühlen sich nicht von einem Senioren-Kaffeenachmittag angesprochen. Urbanisierung, Demografie und der Klimawandel sind die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen – und damit auch für Prävention und Gesundheitsförderung.“
Schlicht sprach sich in diesem Kontext für mehr Alltagsaktivität und eine Städteplanung aus, die die Menschen in Bewegung halte; nicht zu viele Aufzüge, offen und gut gestaltete Treppen(häuser), Quartiere, in denen sich Leben, Arbeiten und Einkaufen verbinden lasse. Mehrere Untersuchungen würden belegen, dass eine halbe bis eine Stunde mehr körperliche Aktivität am Tag Erkrankungsrisiken minimiere und die Mobiliät bis ins hohe Alter deutlich erhöhe. „Ein gehfreundliches Quartier senkt nach unserer Untersuchung die Rate an Übergewichtigkeit und Typ 2 Diabetes deutlich“, so Schlicht.
Über die Heilbäder und Kurorte Baden Württembergs:
Die Heilbäder und Kurorte Baden-Württembergs sind mit über 12,0 Mio. Übernachtungen im Jahr 2015 ein starker Wirtschaftsfaktor. Sie erwirtschaften jährlich einen Bruttoumsatz von rund 3,05 Milliarden Euro. Für die 56 höherprädikatisierten Heilbäder und Kurorte im Land ergibt sich ein theoretisches Beschäftigungsäquivalent von rund 58.000 Personen, die durch den Tourismus ein durchschnittliches Primäreinkommen von 26.650 € pro Kopf beziehen.