Versicherungen wollen bei coronabedingten Betriebsschließungen nicht zahlen - Der Pressedienst - Medienservice für Journalisten

Versicherungen wollen bei coronabedingten Betriebsschließungen nicht zahlen

Heilbäderverband stellt sich hinter Bäderbetriebe, Hotels und Gaststätten

STUTTGART– Die Folgen der Corona-Krise für die Heilbäder und Kurorte in Baden-Württemberg sind weiter unabsehbar. Nun droht neues Ungemach. Denn viele Betriebe hatten sich gegen Betriebsschließungen versichert. Doch die Versicherungen stellen sich auf den Standpunkt, dass die Pandemie mit der Police nicht gedeckt sei. Eine von den Versicherern angebotene Kulanzzahlung deckt die entstandenen Schäden nur zu einem Bruchteil. Der Heilbäderverband Baden-Württemberg rät daher, den Kompromiss abzulehnen und gegen die Versicherungen zu klagen. Erste Betriebe sind diesem Vorschlag bereits gefolgt.

Immerhin ein Licht am Ende des Tunnels. „Wir planen am 29. Mai unser Hotel mit angeschlossener Gastronomie wieder zu eröffnen“, sagt Doris Lechner, Geschäftsführerin des Waldhotels Grüner Baum im badischen Oberkirch. Doch von einem Normalbetrieb ist das Haus, das seit Jahren vom Qualitätssiegel „Wellness Stars“ zertifiziert ist, noch weit entfernt. Aufgrund der umfassenden Hygieneauflagen bleibt beispielsweise das Frühstücksbüffet ab 29. Mai geschlossen. Jeder Gast erhält sein Frühstück an den Tisch serviert, was einen erhöhten Aufwand an Kräften im Service und in der Küche mit sich bringt. Zudem darf Lechner auch die Wellness-Einrichtungen des Hotels zunächst nicht in Betrieb nehmen. Ungewiss ist auch, ob die wichtigen Besucher aus der nahegelegenen Schweiz und dem Elsass wieder den ‚Grünen Baum‘ besuchen, wenn die Grenzen zu den Nachbarländern wieder passierbar sind.

Doch nicht nur die Aussicht auf höhere Kosten bei niedrigeren Umsätzen trübt die Zukunftsaussichten von Lechner und vieler ihrer Kollegen. Sie alle haben aufgrund der behördlich angeordneten Betriebsschließungen im Zuge der Corona-Krise bereits mit massiven wirtschaftlichen Auswirkungen zu kämpfen. Bundesweit betrifft das Problem rund 165.000 Restaurant- Imbiss-, und Cafébetreiber schätzt der Branchenverband Dehoga. Eine große Zahl der Besitzer hatte sich gegen eben solche Ausfälle durch Betriebsschließungen versichert. Rund 40.000 Betriebe haben eine solche Versicherung abgeschlossen, schätzt der Dehoga. Doris Lechner, die vor 20 Jahren ihre Police unterschrieben hat, ist eine von diesen. Zuletzt zahlte sie 4.644 Euro im Jahr an die Mannheimer Versicherung.

Bereits Ende Februar hatte sie sich bei ihrer Versicherung gemeldet. Diese hatte ihr auch zunächst bestätigt, dass ihr Schaden für 30 Tage abgedeckt sei. Pro Ausfalltag sollte sie 5.500 Euro erhalten, insgesamt also 165.000 Euro. Die Überraschung kam dann mit einem Schreiben Mitte April. In diesem bot die Mannheimer an, „grundsätzlich einen Betrag in Höhe von 15 Prozent der vertraglich vereinbarten Tageshöchstentschädigung für 30 Tage (…) zu erbringen“. Mithin also 24.655,50 Euro. In diesem Zuge sollte Doris Lechner anerkennen, dass „sämtliche etwaige Ansprüche des Versicherungsnehmers (..) endgültig und vollständig abgegolten sind“.

Kein Einzelfall, denn der Vorschlag der Versicherung beruht auf einem Kompromiss, den Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, der Hotel- und Gaststättenverband in Bayern sowie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft mit den Versicherern Anfang April ausgehandelt hat. Die meisten Versicherer haben sich dieser Vereinbarung angeschlossen und bieten ihren Kunden eben diese 15 Prozent der Tageshöchstentschädigung an. Ihr Argument: Diese Summe entspräche in der Regel der Hälfte des Schadens, der nach Abzug aller staatlichen Leistungen und ersparten Kosten übrig bleibe. Doch der Schaden für den Betrieb von Doris Lechner ist deutlich höher.

„Die Versicherungswirtschaft versucht sich herauszuwinden“, sagt Fritz Link, Präsident des Heilbäderverbands Baden-Württemberg (HBV). Sein Verband vertritt die 56 höher prädikatisierten Heilbäder und Kurorte, in denen Gaststätten und Hotels  einen wesentlichen Teil der Wirtschaftskraft ausmachen. In einem Positionspapier hat der HBV Mitte April eine durchgängige Mehrwertsteuersenkung für alle Leistungen in Hotels und Thermen auf sieben Prozent gefordert. Zudem verlangte der Verband eine Erweiterung des Rettungsschirms. Auch sollte die Vergabe von KfW-Krediten für touristische Unternehmen in Heilbädern und Kurorten unabhängig von der Gesellschafts- und Rechtsform der Betriebe mit einem Zinssatz von einem Prozent, einer Laufzeit von zehn bis 15 Jahren, bei einer Aussetzung der Tilgung im ersten Jahr, erfolgen. Gleichzeitig sollte der Staat Optionen für zusätzliche zinslose Darlehen mit Laufzeiten von mindestens zehn bis 15 Jahren schaffen mit Aussetzung der Tilgung im ersten Jahr für die nachhaltige Sicherung der Betriebsführung und der Nachrüstung umweltfreundlicher Technologien sowie Ausbau der digitalen Angebote. „In der Corona-Krise sind wir alle gefordert. Besonders auf die Kommunen kommen hohe Belastungen zu. Um die Existenz von Unternehmen zu sichern, überlegen viele Gemeinden beispielsweise, die Gewerbesteuer zinslos zu stunden“, so Link und ergänzt: „Auch von den Versicherungen wünsche ich mir solche Zeichen der Solidarität. Die aktuelle Kulanzregelung wird dem Risiko jedenfalls nicht gerecht.“

Gaststätten und Hotels sind nur eine der Baustellen, für die sich der HBV im Augenblick intensiv einsetzt. Schon Ende März hatte der Verband gefordert, dass auch die Rehakliniken im Land unter den Rettungsschirm für Kliniken genommen werden sollten. Hintergrund: In der Corona-Krise wurden die Rehakliniken als Backup für die Akutkliniken herangezogen. Um entsprechende Kapazitäten – also freie Betten – zu schaffen, schränkten die Kliniken die Aufnahme von Reha-Patienten ein oder stoppten diese sogar. Die so geschaffenen Ressourcen wurden allerdings nur zu einem sehr geringen Teil abgerufen, wie eine am 27. April veröffentlichte Umfrage des HBV ergab. „Die entstandenen Kosten sowie der Rückgang der Zahl der Reha-Patienten gefährden jetzt die Existenz vieler Kliniken“, betont Link.

Völlig ungewiss ist zurzeit noch, wann die Bäder- und Wellnessbetriebe in den Heilbädern und Kurorten wieder ihren Betrieb aufnehmen dürfen. Für diese hatte der HBV eine Strategie zur Öffnung erarbeitet, inklusive eines umfassendes Hygienekonzepts. Im Zuge der Lockerungen am 6. Mai machte die Landesregierung aber deutlich, dass die Bäder- und Wellnessbetriebe auf unabsehbare Zeit geschlossen bleiben sollten.

Unabsehbar sind auch die Folgen, die diese Maßnahmen für die Unternehmen haben. Denn viele von ihnen kämpfen zurzeit an zwei Fronten. So wie die Kur und Bäder GmbH im südbadischen Bad Krozingen. Sie ist wie viele andere vergleichbare Betriebe in den baden-württembergischen Heilbädern und Kurorten in kommunaler Hand. Was das bedeutet, zählt Rolf Rubsamen, Geschäftsführer der GmbH, auf: „Wir erhalten keine KfW-Darlehen und keine Soforthilfen. Außerdem fallen wir nicht unter den Schutzschirm.“ Aufgrund der Schließungen sind die meisten seiner 120 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Diese Maßnahmen sowie andere Entlastungen helfen, die Verluste zu begrenzen. „Wir verlieren rund eine Million Umsatz pro Monat. Rund 350.000 Euro können wir gerade einsparen. Damit bleibt ein Minus von 650.000 Euro pro Monat“, rechnet Rubsamen vor.

Gegen solche Schäden hatte sich die Kur und Bäder GmbH versichert. Doch wie beim Waldhotel Grüner Baum stellte sich die Versicherung auf den Standpunkt, dass sie in diesem Fall nicht zahlen müsse. „Der gemeldete Schaden ist nicht versichert“, heißt es knapp in einem Schreiben der Axa. Die Schließung sei nicht erfolgt, weil vom Betrieb eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit ausgehe. Außerdem sei das aktuelle Corona-Virus nicht in der Liste der versicherten Krankheitserreger enthalten. Insgesamt 155.000 Euro hat die Axa als Kulanzzahlung geboten und ist dabei ebenfalls dem bayerischen Modell gefolgt. Da der  Betrieb nun seit mehr als zwei Monaten stillsteht, bliebe Rubsamen eine Lücke von annähernd einer Million Euro.

Mit dieser Haltung steht die Axa nicht alleine da. In den ersten Mai-Tagen hatte der HBV seine Mitglieder zu diesem Thema befragt: Von den 49 befragten Unternehmen hatten sich zwei Drittel gegen Betriebsschließungen versichert. Rund die Hälfte von diesen Betrieben haben eine Inanspruchnahme der Leistungen versucht. In fast allen Fällen stießen sie dabei auf eine restriktive Haltung der Versicherung. „Die Auslegung der Versicherungen ist skandalös“, betont Fritz Link. Der Sinn und Zweck einer Versicherung sei es, auch vor unbekannten Risiken zu schützen. „Der HBV rät daher ab, sich auf die gütliche Einigung nach dem bayerischen Modell einzulassen“, so Link. Eine Ansicht, der sich auch Rubsamen angeschlossen hat. Er wird, wie viele andere Unternehmen, eine Klage gegen seine Versicherung anstreben.

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Über den Heilbäderverband Baden-Württemberg e.V.:

Die Heilbäder und Kurorte Baden-Württembergs sind mit über 12,7 Mio. Übernachtungen im Jahr 2019 ein starker Wirtschaftsfaktor. Sie erwirtschaften jährlich einen Bruttoumsatz von rund 3,5 Milliarden Euro. Für die 56 höherprädikatisierten Heilbäder und Kurorte im Land ergibt sich ein theoretisches Beschäftigungsäquivalent von rund
58.980 Personen, die durch den Tourismus ein durchschnittliches Primäreinkommen von 30.525 Euro pro Kopf beziehen.
www.heilbaeder-bw.de